Der erste Spruch stammt von einem ehemaligen Oberarzt (von dem ich echt viel gelernt habe), als er über die Anästhesistin obigen Namens redete:
Anästhesisten sind wie Kometen, sie tauchen kurz mal auf und sind dann ziemlich lange wieder verschwunden.
Nicht nur in dieser Klinik war es so, daß man oft vergeblich mit der Anästhesie geredet hat (Hallo? Bitte den Tisch höher fahren? Hallo? Hallooo?), und auch hier in der Klinik scheint (ach was scheint, das ist definitiv so) die Anästhesie ein schönes Leben zu haben.
Pünktlich Schluß ist ja nur eine Sache, regelmäßig zur Pause ausgelöst zu werden, geregeltes Sozialleben und so'n Zeug das andere. Andererseits ist man dafür auch "nur" Anästhesist. Ich weiß nicht, ob es mir ausreichen würde, immer nur bei der OP daneben zu stehen (jaja, ich weiß, tue ich jetzt zu 90% auch, aber immerhin habe ich jetzt ja die CHANCE, mal selbst Hand anzulegen).
Der zweite Spruch stammt von meinem Deutschlehrer (von dem ich auch sehr viel gelernt habe), alternativ auch:
Warum bin ich eigentlich nicht Gebrauchtwagenhändler geworden?
Diese Sprüche kamen meistens nach Erwähnen der Urlaubsziele der Sprößlinge dieser Berufsgruppen.
Obwohl (oder vielleicht genau weil?) es momentan wirklich absolut bescheiden läuft (mal wieder mehr Kollegen krank als anwesend), bin ich in einen absolut fatalistischen Zustand gerutscht. Es läuft katastrophal, so what? Ich kann eh nix dran ändern, also nutzt es auch nichts, darüber zu jammern. Naja, ist ja so.
Und obwohl ich keine eigentliche positive Grundeinstellung habe, ist es so, daß ich die ganze Sache erstaunlicherweise nicht mehr so negativ angehe. Keine Ahnung warum, aber ich merke auf jeden Fall, daß dies mir besser tut. Vielleicht liegt es einfach daran, daß mein Urlaub nicht mehr so lange weg ist. Das ist ein ungeheurer Motivationsschub.
Und außerdem höre ich dauernd, daß ich der beste Chirurg der Abteilung bin, ohne mich läuft gar nichts, yaddiyaddiyaddi. Klar, ist das nur Honig ums Maul schmieren und womöglich noch nicht mal aufrichtig gemeint, aber es tut trotzdem irgendwie gut, das zu hören. Daran liegt es aber nicht hauptsächlich. Wenn ich das hier einigermaßen gut überstehe, kann mich nix mehr schocken und ich sehe das als Vorbereitung für, naja, für irgendwas, das noch kommen mag.
Versuche auch, die Pat. nichts davon mitbekommen zu lassen, aber einige Male musste ich denen doch sagen, wo der Hammer hängt. Kommen auf Station, sind dann 6 (!) Stunden verschwunden, wenn ich sie eigentlich aufnehmen will und nölen noch, wenn ich sie dafür auf den Pott setze. Sowas macht mich aggressiv.
Ganz im Gegenteil dazu die Pat., die nachts oder abends meine Zeit in Anspruch nehmen, weil die alte verwirrte Dame wegen Schemrzen nicht mehr zurecht kommt und bei uns eigentlich auch nicht richtig aufgehoben ist, wo die Anamnese ewig dauert (und nicht immer wirklich zu glauben ist) und die einfach sehr arbeitsintensiv sind.
Aber diese Patienten sind es doch, für die wir den Job machen, die unsere Hilfe brauchen, die mir echt leid tun. Sie können sich selber nicht mehr helfen, sind alt und hilflos. Sie brauchen uns.
Habe schon einige dieser Patienten kommen und auch bei uns sterben sehen und es macht mich immer traurig. Klar, sie hatten ein langes erfülltes Leben, aber andererseits sind sie zu uns mit Schmerzen oder anderen Problemem gekommen, in der Hoffnung wir/ich können ihnen helfen. Und es ist nicht schön, sie enttäuschen zu müssen.
Ab und zu hat man diese Patienten, die einem nahe gehen, deren Schicksal und (Über)Leben wir beinflussen.
Eine alte Dame kam eines Tages per KTW in meine überfüllte Ambulanz. Vom Namen her Aussiedlerin (habe in der Vergangenheit sehr schlechte Erfahrungen mit der Verständigung machen müssen, was mich etwas auf der Hut sein liess) und ziemlich alt, Diagnose akutes Abdomen. Ich war zugegeben ziemlich lustlos, alles nur runtergerattert, lieblos untersucht und auf Station geschickt. War auch ziemlich kurz angebunden und unfreundlich, allerdings war die Verständigung mit ihr unerwartet gut möglich.
Als der Transportdienst sie auf die Station abholen wollte, nahm sie meine Hand und meinte: "Danke, daß Sie mir geholfen haben. Kommen Sie dann auch auf die Station und sehen nach mir? Bitte."
Da war ich echt baff, das hatte ich nach meiner Behandlung nicht erwartet. Hatte meinem OA von ihr berichtet und alles zur OP fertig gemacht. In meiner weiterhin überfüllten Ambulanz habe ich mir dann doch mal die Zeit genommen, sie auf Station zu besuchen. Sie lag in einem Dreibettzimmer an der Tür und ihre Tochter war bei ihr. Habe nochmal alles mit ihr besprochen, OP und weiteres Procedere. Als ich dann gehen wollte und ihr alles Gute wünschte, sagte sie zu mir, mit einem traurigen Blick:
"Ich weiß, daß ich sterben werde, aber ich bin dankbar für das Leben, das ich haben dürfte."
Warum weiß ich nicht, aber das hat mich sehr tief berührt und ich habe mich bemüht, ihr zu versichern, daß sie bestimmtr nicht sterben würde, und daß wir alles in unserer Macht stehende tun würden, um ihr zu helfen. Sie drückte meine Hand und sagte nur: "Danke. Das weiß ich." Danach musste ich die Tochter beruhigen und bin gegangen. Noch von der Station habe ich den OA, der die OP machen würde angerufen, um ihm zu sagen, daß er sich ganz besonders um diese Patientin kümmern und mich nach der OP direkt anrufen sollte.
Habe das Warten dann nicht ausgehalten und im OP angerufen, da waren sie gerade am zumachen. Sie hatte eine Mesenterialvenenthrombose, aber sie war stabil und es ging ihr gut.
Auf ITS bin ich dann nicht mehr bei ihr vorbeigegangen und einigermaßen froh nach Hause gegangen.
Am nächsten Morgen in der Besprechung wurde übergeben, daß sie in der Nacht auf Intensiv verstorben ist. Da hätte ich fast losgeheult.
Letztendlich weiß ich nicht, warum genau diese Patientin mich so berührt hat oder warum dies eine meiner intensivsten Erfahrungen als Arzt war, aber ab und zu kommen immer mal wieder Patientin, die mich an die alte Dame erinnern und mich ermahnen, daß ich meinen Beruf nicht wegen der Kohle oder der Arbeitszeiten (denn dann hätte ich wohl was anderes machen können), sondern wegen der Menschen, die uns brauchen, machen.
Ab und zu brauche ich das. Vielleicht alle Ärzte.
Deshalb finde ich es ab und zu ganz gut, daß ich nicht Gebrauchtwagenhändler, Staubsaugerver- treter oder Komet geworden bin.
Doc Blog
4 Kommentare:
Bei uns heisst die Barriere zwischen chirurgischem Operationsfeld und Anästhäsie übrigens "Blut Hirn Schranke". Aber der Witz hat wahrscheinlich schon einen ziemlich langen Bart.... den kanntest Du ja wohl schon, oder?
Ja, aber muss trotzdem immer grinsen, wenn ich den höre...
Deine Empathie unterscheidet dich mit Sicherheit von anderen Chirurgen die ich kenne. Und das wird später auch den Punkt ausmachen, an dem man einen guten von einem schlechten Chirurgen unterscheidet. Und du wirst zu den guten gehören.
Nur durch Empathie lernt man feine Nuancen wahrnehmen, und die machen eben manchmal den Unterschied und lassen einen aufhorchen, wenns kritisch wird oder bringen Patienten mit Complianceproblemen wieder auf Linie.
Deine Menschlichkeit und Empathie macht dich empfänglich fürs "Verheizen", also das was sie gerade mit dir machen.
Deine immer öfter kommende "Mir egal"-Stimmung nennt man innere Kündigung, ein von Arbeitnehmern gewähltes Mittel bei schlechten Arbeitsbedingungen und Unzufriedenheit. Schützt die eigene Psyche, ist schlecht für den Betrieb, weil die Arbeitsproduktivität sinkt. Aber letzteres sollte man eigentlich wissen, wenn man leitende Positionen einnimmt, hab ich nur noch nie erlebt bei Ärzten...
Danke...
Habe heute während einer OP mit einem Anästhesisten gesprochen, und über die Tatsache, daß sich wahrscheinlich mittlerweile das ganze Krankenhaus über uns amüsiert, die wir zu dumm sind, das hier immer noch mitzumachen.
Was meine (vermeintliche) Arbeitsproduktivität angeht... s. nächster Post.
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